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Rezensionen und Erscheinungsweise

FORUM Jugendarbeit und Jugendhilfe Juni 1999

"Gewaltbereite Jugendliche und Sozialpädagogik - ein Überblick"

Auf der Basis einer vom Autor Michael Schmitz erstellten Diplomarbeit liefert das Buch "Gewaltbereite Jugendliche" knappe Erörterungen der verschiedenen Dimensionen des komplexen Themas. Zum einen werden die gesellschaftlichen Strukturveränderungen der Jugendphase unter Rückgriff auf den von Beck entwickelten Begriff der Risikogesellschaft und der von Heitmeyer entwickelten Folie der "sozialen Desorganisation" skizziert. Desweiteren wird der Blick geworfen auf die Vermittlung gewaltförmigen Verhaltens durch die Sozialisationsagenturen und -bedingungen des Alltags.

Über zwei weitere Zugänge sollen Lichtungen in den Dschungel der (nicht nur: sozialpädagogischen) Gewalt-Diskussion geschlagen werden: den subjektiven und jugendspezifischen Verarbeitungsformen von Lebenswelten und -verhältnissen wird am Beispiel jugendkultureller Szenen (Fußballfans, multikulturelle Gruppen und Skin Heads) nachgegangen.
Ebenso werden ausgewählte Theorien der Jugend- und Sozialarbeit an den Beispielen der bedürfnisorientierten, der antifaschistischen und schließlich der mobilen Jugendarbeit vorgestellt. Sozialwissenschaftliche und sozialpädagogische Versuche einer theoretischen Verortung und Erklärung jugendlichen Gewaltverhaltens werden erläutert und kritisch gewürdigt. Schließlich stellt der Autor aktuelle Konzepte und Projekte der praktischen Arbeit im Detail vor.

In diesem Kontext wäre vielleicht zu kritisieren, daß gewissermaßen dem Heitmeyer'schen Ansatz einer nahezu beliebig ausweitbaren Ursachenbestimmung gewalttätigen Verhaltens gefolgt wird. Gewaltbereitschaft und Gewaltverhalten werden somit wiederum als eine vor allem Jugendlichen zuzuschreibende Abweichung (die jedoch vor allem erzieherisch oder sozialstrukturell begründete Ursachen hat) reproduziert. So wird zwar eingangs festgestellt daß "eine kurzfristige Veränderung der Gewaltbereitschaft von Jugendlichen nur in Ausnahmefällen möglich ist" (Seite 10), zugleich aber wird auf die Dringlichkeit der Entwicklung "innovativer und qualifizierter Handlungskonzepte" hingewiesen. Gerade weil sozialstrukturellen Bedingungen ein so großer Raum in der Ursachenbestimmung eingeräumt wird, fällt in dem als Abschlußkapitel des Buches angelegten Entwurf einer eigenen Arbeitskonzeption auf, daß die vorgeschlagenen Interventionen weitgehend auf die Jugendlichen selber wieder bezogen werden. Dem Aspekt der gemeinwesenorientierten Vernetzung kommt eher die bescheidende Rolle zu, vermittelnd zwischen einer aufgebrachten Öffentlichkeit und jugendlichen Gewalttätern zu vermitteln.

Das ist nicht unbedingt die schlechteste Position für eine soziale Arbeit, die Ansätze sind allerdings nicht unbedingt neu oder innovativ; dennoch offenbaren sich hier die positiven Aspekte des Werkes: Da wird mehrfach auf die Dialektik zwischen gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen und den je eigenen Rezeptions- und Bewältigungsformen der Individuen hingewiesen. Damit werden zumindest einfache und stereotypisierte Schuldzuschreibungen relativiert. Zum zweiten werden gezielt theoretische Ansätze herausgegriffen und bearbeitet, die sich tendenziell eher einem lebensweltorientierten und subjektbezogenen Verständnis von Jugendarbeit verpflichtet fühlen. Somit wird ansatzweise die Beschreibung gewalthandelnder Jugendlicher als "Monster", als ganz und gar untypische Formen der Gattung Mensch, relativiert und unterlaufen. Zum dritten zeigen die beschriebenen Projekte wie auch die abschließende Konzipierung einer möglichen Jugendarbeit die Absicht, verständigungsorientierte und verstehende (was ja nicht zwingend gutheißen bedeutet), ansonsten auch existenzsichernde und Erfahrungsvarianz zulassende Ansätze in den Mittelpunkt zu stellen.

Wenngleich damit eingestandenermaßen die Frage nicht beantwortet ist, inwieweit die "Jedermanns-Ressource Gewalt" (von Trotha) mit diesen Mitteln zu zivilisieren, zu vermindern, präventiv zu unterdrücken wäre,  läßt sich der Band dennoch nicht ein auf die neuen Moden sozialpädagogischer Gewaltbehandlung: der gewaltreproduzierenden "Konfrontation", dem repressiven Zugriff und der Festsetzung werden hier nicht das Wort geredet. Und das ist - neben einigem Erkenntnisgewinn zur aktuellen Theoriedebatte in der Sozialpädagogik - in heutigen Zeiten doch auch schon etwas.


Peter Gerdes